Wappen von Egnach

Aus Wiki-Egnach
Egnacher Wappen, 1940

Verzwicktes Gemeindewappen

Wenn sie bei der alten Traube die Strasse zum Gemeindehaus überqueren, fällt ihnen am Türmchen ein Wappen auf. Es zeigt einen Baum mit zwei Birnen über blauen Wellen. Nehmen sie aber eine Mitteilung der Gemeinde zur Hand, sieht das Wappen ganz anders aus. Was gilt nun? Die Wappen sind als Relikt des Mittelalters lange in Vergessenheit geraten. Nach der Gründung des Bundesstaates 1848 macht sich im ganzen Schweizerland eine Stimmung der Verbundenheit breit, und nationale Strömungen rufen nach Symbolen. Hunderte Vereine werden gegründet und beziehen ihre Namen auf „Helvetia, Tell“ oder „Vaterland“. Auch europäisch gesehen gewinnt der Nationalismus an Bedeutung und gipfelt in der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Im Egnach werden viele Vereine gegründet, so 1883 der Turnverein nach dem Motto: „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“, das an Turnvater Jahn erinnert und heute im Giebelfeld der alten Turnhalle zu sehen ist. Bei Treffen der Vereine zu Wettkämpfen möchte sich dieser Turnverein präsentieren und lässt eine Fahne kreieren. Stolz trägt sie der Fähnrich voraus, wenn der Verein einmarschiert. Nach Jahren ist sie aber veraltet und in schlechtem Zustand. Es braucht eine neue Fahne. Diese soll aber auch die Gemeinde Egnach in Form eines Wappens repräsentieren. Es gibt aber keines.

Also gibt 1917 der Verein einem Berner Zeichnungsprofessor den Auftrag, eines zu entwerfen. Die Originalzeichnung ist im Archiv erhalten und zeigt einen dicken Baumstamm mit elf Blättern und zwei Birnen. Weil der Kreisturntag in Neukirch nicht mehr weit ist, bleibt wenig Zeit für grosse Diskussionen. Mit der Herstellerfirma Kurer in Wil bringt man verschiedene Änderungen an und legt unter den Baum zwei blaue Wellen, weil Egnach ja eine Seegemeinde ist. Im August wird dann die 2'300 Franken teure Fahne festlich auf dem Schäfliplatz mit hunderten Zuschauern eingeweiht. Damit ist das Wappen geboren, und der Gemeinderat bewilligt  25 Franken an die Kosten des Entwurfs. Weiters hat er keine Verwendung dafür. Im Jahre 1927 flammt dann auf Gemeindeebene eine grosse Diskussion um ein Egnacher Wappen auf. Es solle symbolisch das Typische der Gemeinde darstellen. Einige wollen den heiligen Jakob abbilden, den Patron des Kirchleins zu Erdhausen. Da aber die Kapelle schon bald hundert Jahre in Privatbesitz ist und zuletzt eine Stickerei beherbergte, fällt das Argument hin. So gelangt man zur Landwirtschaft. Seit tausend Jahren wachsen im Egnach die Obstbäume; ja, die ganze Gegend wird „Mostindien“ genannt. Warum nicht ein Obstbaum? Apfel oder Birne fällt zugunsten der Birne aus. Diese überwiegt zu dieser Zeit noch und ist seit jeher Spender von Most, Schnaps, gedörrten Schnitzen als Wintervorrat, Birnel als Zuckerersatz oder einfach als Obst.

Die Farben des Wappens werden heraldisch vorgeschrieben. So soll der Hintergrund weiss sein (heraldisch Silber) als Erinnerung an die Zeit, als Egnach zum Bistum Konstanz gehörte. Der Baum muss aus den gleichen Gründen rot sein. Für das Laub will man Grün verwenden, da es im 19. Jh. die Farbe der befreiten Kantone darstellt. Somit wäre das Wappen fertig, und wenn sie als Leser aufmerksam waren, merken sie, dass damit die Egnacher dasselbe Wappen erfunden haben wie damals Zeichnungsprofessor Baumann in Bern. Viele Stimmen finden den Baum zu klobig, und er wirke wie ausgerissen. Aus unerklärlichen Gründen versinkt das Wappen in einer Schublade. Als aber der Verkehrsverein 1936 ein neues Gemeindekärtchen herausgibt, erscheint es erstmals auf der Titelseite. Es wird aktuell, als die Schweizerische Landesausstellung 1939 von allen Gemeinden ein Wappen für einen Fahnenweg fordert. 1940 wird die Gemeinderechnung neuerdings mit dem Wappen gedruckt. Zwölf Jahre später wechselt es aber, und es erscheint nun der Birnbaum mit den blauen Wellen des Bodensees, die auf der Fahne des Turnvereins von 1917 aufgestickt sind. Auch am Türmlein des Gemeindehauses wird dieses Wappen anlässlich einer Renovation aufgemalt. Die Überraschungen nehmen aber kein Ende: 1960 soll eine 500-Jahrfeier des Kantons stattfinden, weil der Thurgau von den Eidgenossen zum Untertanenland erklärt wurde!

Eine Sonderkommission des Staatarchivs befasst sich jahrelang mit allen Gemeindewappen für ein Wappenbuch. Ohne eine vorherige Anfrage wird den Gemeinderäten jetzt ein ganz neues Wappen präsentiert. Der einzige Beitrag der Gemeinde soll im Zahlen von 70 Franken bestehen. Die Egnacher stehen Kopf und reklamieren. Man sitzt zusammen und bringt es fertig, dass unten im Wappen der See dargestellt wird, den die Kommission einfach eliminiert hat. So wird dann das neue Egnacher Wappen im Buch gedruckt, und ab 1960 ist es bis heute auf der Gemeinderechnung unverändert.

Rolf Blust auf Gristen

Bilder/Fotos

Literatur

Gemeinderatsprotokolle Egnach
Briefkopie Kirchen-Archiv
Lokalanzeiger 1927
Archiv evangelische Kirchgemeinde, Neukirch
Denkschrift des Turnvereins 1883 – 1933
Protokolle des Turnvereins

Einzelnachweis

Loki Egnach, Mai 2021