Ulrich Stacher
Um 1770 existierte das Dorf Neukirch im heutigen Sinne noch nicht. An der Kreuzung stand die neue Kirche, und gegenüber betrieb Hans Ulrich Holzer eine Wirtschaft mit Bäckerei. Am 20. September wurde in der Nähe Hans Ulrich Stacher geboren. Mit 23 Jahren erwarb er den Gastbetrieb und erlernte das Bäckerhandwerk. Weitum belieferten die Brotläufer die Bevölkerung mit Brot, und die Wirtschaft war sehr beliebt bei den Kirchgängern. Stacher war mit 30 Jahren der zweitreichste Mann im Dorf. Ein schwerwiegender Fehler Nebenbei betrieb Stacher einen schwunghaften Liegenschaftenhandel und tätigte oft riskante Geschäfte. Er kaufte wahllos überall freie Höfe, bevor er die anderen mit Gewinn abgestossen hatte. Auch verkaufte er Leinenstoff, den die Egnacher Weber als Zweitverdienst herstellten. Stacher wurde 1803 von einem Händler hereingelegt und wollte es diesem heimzahlen, indem er diesen bei einem andern Handel betrog. Er kam vor Gericht und musste ins Zuchthaus, was seinem Ruf gewaltigen Schaden zufügte.
Die neue „Traube“
Wieder auf freiem Fuss liefen seine Geschäfte bestens. Er liess 1809 das Wirtshaus abreissen und ein dreistöckiges Gasthaus aufrichten, wie es heute noch als „Traube“ dasteht. Zum Haus gehörte eine angebaute Scheune mit grossen Stallungen für die Pferde. In diesem neuen Gasthaus fanden Verlöbnismähler, Taufessen, Leichenmähler und andere Feste statt. Nebst der Gaststube lag eine kleinere Stube, und im oberen Stock lud der grosse Saal ein mit 50 Sesseln. Das Geschäft florierte, und nach den Gottesdiensten oder Gemeindeversammlungen trafen sich jeweils viele Bürger aus dem Egnach zu einem Trunk. Die Traube wurde zum Zentrum.
Die Leidenschaft
Stacher genoss einen guten Ruf im Egnach und wurde 1816 zum Gemeindeammann gewählt. Mehr und mehr aber widmete er sich dem Immobilienhandel. Er kaufte 1816 den ganzen Hof Mosershaus; das war der ganze Westen von Neukirch bis zur Brücke. Ein Jahr später erwarb er die Metzgerei Schäfli östlich der Kirche, und 1821 kaufte er die Liegenschaft auf dem Gristenbühl. Er ging immer riskanter vor und konnte oft gar nicht zahlen. So musste er schweren Herzens die Traube verkaufen, weil er völlig insolvent war. Er zog auf Gristen. Seine Rückschläge aber hinderten ihn nicht, 1824 auch noch Schloss Luxburg unter den Nagel zu reissen. Ein Jahr später platzte jedoch die ganze Blase; Stacher verlor die Liegenschaft auf Gristen und die Luxburg. Sein Bürge, Oberst Zellweger aus Hauptwil, löste ihn aus und wurde unfreiwillig Schlossbesitzer.
Tragisches Ende
Stacher erscheint uns wie ein Spieler, der einfach nicht aufhören kann, und 1826 kaufte er die Taverne und Badewirtschaft „zur Krone“ in Frasnacht, wo er auch hinzog. Er liess seine Liegenschaft hoch versichern, vor allem auch den prall gefüllten Weinkeller. In der Fasnachtszeit 1827 schloss er eines Nachts sein Lokal und verabschiedete die Gäste. Sie kamen nicht weit, denn sie bemerkten, dass aus dem Dach die Flammen züngelten. Schnell eilten sie zurück um zu helfen. Sie konnten den Brand unter Kontrolle bringen. Anderntags erschien der Pfarrer Heidegger von Roggwil als Statthalter, um den Schaden für die Versicherung aufzunehmen. Wie gross war aber die Überraschung, als er die hoch versicherten Weinfässer inspizierte: sie waren alle leer! – es war gezielte Brandstiftung und Betrug. Wieder einmal hatte Stacher hoch gepokert und verloren. Er floh, wurde aber schnell gefasst. Der Landjäger führte ihn an Fesseln zu Fuss nach Frauenfeld vor Gericht. Wegen der Schadenfreude beim Durchqueren der Dörfer bat Stacher, die Fesseln jeweils abzulegen. Bei der Thurbrücke Pfyn reisst er sich aber los und stürzte sich in die Fluten, wo er ertrank.
Ein bedeutender Zeitgenosse, Johann Heinrich Mayr aus Arbon, schrieb: Selbstmord: …und jeder fluchte ihm nach – und sprach von ihm als von einem Scheusal wie keins mehr auf Erden seye. Und da ich den verunglückten Mann seit längster Zeit kannte und oft bei ihm in seinem hause war….. Dieser Stacher war ohne anders der Gescheuteste seiner Gemeinde Neukirch,
Quellen
Beatrice Sendner: Traube Neukirch
Protokolle Gemeinderat Neukirch
Johann Heinrich Mayr: Meine Lebenswanderung, 2010
Albert Vögeli: Evangelisch Egnach, 1977
Rolf Blust