Abraham Kreis
Abraham Kreis
(* 1773; † 1859) war Schulmeister und Landvermesser in Hegi und Neukirch
Jugend und Ausbildung

Abraham Kreis wurde 1773 in Haslen, Egnach geboren. Nach den Wünschen des Vaters sollte Abraham Schuster werden, aber er widersetzte sich und schlug den Weg zum Schulmeister ein. Allerdings gab es noch keine Lehrinstitute; eigentlich konnte jedermann Lehrer werden, sofern er einigermassen lesen konnte. Im Egnach amtete zu jener Zeit Pfarrer Johann Jakob Waser. Er ermunterte Abraham zum Besuch einer Lehrerausbildung in Hauptwil, wo er zwei Sommer lang die Grundlagen des Lehrerberufs kennen lernte. Im hohen Alter von 86 Jahren examinierte er 1792 den jungen Abraham zum Schulmeister. Abraham erhielt eine Stelle in der Schule Oberhegi.
Schule in Mosershaus, Neukirch

Die Väter schickten ihre Kinder in jene Schule, die ihnen gefiel, und so kam es vor, dass Schulen mangels Schüler schliessen mussten. Das passierte auch in Hegi. Obwohl Kreis als Nebenverdienst Obst- und Kernensäcke für die Bauern bemalte, schrumpfte sein Einkommen mehr und mehr, und er musste sich nach einer anderen Stelle umschauen. Die Väter in Neukirch schlossen mit ihm einen Vertrag ab, in dem die Anstellung und das Schulgeld geregelt waren. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Aufsicht über die Kinder im sonntäglichen Gottesdienst und das Leiten des Chores als Vorsinger. Darum war Singen eines der wichtigsten Fächer im Gegensatz zum Rechnen und Schreiben. Das Dorf stellte Kreis eine Schulstube zu Verfügung, die er selber heizen und putzen musste. Sie war jedoch so eng, dass die Schüler auf Fensterbänken und am Boden sitzen mussten, und der Lehrer nicht mehr zum Fenster durchkam. Kreis kaufte ein Haus im Dorf und heiratete 1802 die Barbara Hauser, welche ihm 11 Kinder schenkte, von denen gerade drei überlebten. In seiner Schulstube tummelten sich 82 Schüler aus 31 Ortschaften! Abraham schwebte eine moderne Schule vor, und er schaffte sich als modernstes Prunkexemplar eine schwarze Wandtafel an, auf der er den Schülern die Buchstaben vorschreiben konnte. Zudem beschaffte er Buchstabenkästen und kleine Schiefertafeln für die Schüler.
Mathematik – die grosse Leidenschaft

Kreis war ein begabter Rechner, doch zu seiner Zeit existierten keine Rechnungsbücher, denn Religion und Gesang in der Kirche beherrschten immer noch weitgehend den Unterricht. So machte er sich daran, ein erstes, eigenes Rechenlehrmittel zu schreiben. Es gehört zu den grossen Schätzen, die er hinterlassen hat. Mit viel Liebe und einer grossen Kreativität schaffte er ein wunderbares Buch mit Hunderten von Rechenaufgaben. Sie zu lösen ist für uns heute ein fast unlösbares Problem, weil die Masseinheiten damals chaotisch waren und weil das Dezimalsystem noch nicht existierte. Erst durch die Besetzung der Franzosen drang langsam der Franken zu 100 Cents in die Schweiz. Aber es herrschte noch immer der Goldgulden zu 60 Kreuzer oder 15 Batzen oder 20 Groschen.
Nebenbeschäftigung als Feldvermesser

Abraham Kreis benötigte neben seiner Tätigkeit als Schulmeister einen Nebenerwerb. Als begabter Rechner befasste er sich mit dem Vermessen von Parzellen und Grundeigentum. Nach der Auflösung der grossen Güter der vormaligen Obrigkeit wurden die Ländereien von Spekulanten gekauft, neu aufgeteilt und vermessen. Abraham Kreis erlernte diese Kunst und machte seine Arbeit exakt, seine erhaltenen Pläne sind kleine Kunstwerke.
Modernisierung des Schulsystems
Viel kam auf die Lehrer zu, vor allem ganz neue Schulfächer wie Naturlehre, Geografie und Geschichte. Kreis wich dem aus, so weit er konnte. Er war müde und wurde langsam alt. Aber er dachte nicht ans Aufhören. 1838 schrieb der Inspektor, man solle Kreis einen Adjunkten beiordnen. Warum geht er nicht in Pension? Die Antwort lag im System; es gab keine Rente für Lehrer, und wer sich pensionieren liess, stand mit leeren Händen da. Darum schleppte sich Kreis weiter durch den Unterricht. Den Adjunkten aber musste er akzeptieren und aus seinem eigenen Sack bezahlen. Doch kam jetzt Widerstand aus der Bevölkerung; ein Vater weigerte sich, seine Kinder zu Kreis in die Schule zu schicken; ein Gespräch des Inspektors mit dem Lehrer endete in eigensinnigem Trotz.
Neues Schulhaus an der Amriswilerstrasse 11 in Neukirch

An einer Schulkreisversammlung vom 27. Okt. 1839 verlas Pfarrer Hanhart ein Schreiben des Erziehungsrates, worin das Neukircher Schullokal im Hause von Abraham Kreis bemängelt wurde. Ein Neubau drängte sich auf, und die Vorsteher suchten einen geeigneten Bauplatz. Jetzt zeigte sich Lehrer Kreis von seiner besten Seite: er offerierte der Schule einen Bauplatz südlich der Hauptstrasse und zwar gratis. Im Januar 1841 schlug Pfarrer Hanhart ein einfaches Schulhaus vor, also mit einem Lehrzimmer, so wie es gerade auch die Olmishauser beschlossen hatten. Dafür sollte es 100 Kindern Platz bieten. Der Bau ging zügig voran, und am 16. November 1841 zog Abraham Kreis, mittlerweile 68 Jahre alt, mit 118 festlich gekleideten Schulkindern ins neue Schulhaus ein. Es war reich geschmückt mit farbigen Girlanden und festlichen Aufschriften. Gesänge und Reden verschönerten den Festtag für die Bevölkerung. Jeder Schüler erhielt eine Wurst mit Brötchen und Most, und um halb fünf schickte man alle nach Hause, um jeglichem Unfug vorzubeugen. Der Pfarrer, die Vorsteher und Sänger aber hielten ein einfaches Festmahl, und kein Protokoll schreibt, wann sie nach Hause zurückgekehrt waren. So zog Leben ins neue Schulhaus ein. Bald aber wartete schon die nächste Herausforderung auf die Schulgemeinde. Der Kanton verlangte jetzt Arbeitsschulen für die Mädchen. Die erste Lehrerin wohnte dann im neuen Schulhaus, weil Kreis weiterhin in seinem Haus blieb.
Getrübte Altersfreude
Das Raumproblem war nun gelöst, nicht aber das Problem des alternden Schulmeisters, der den Platz nicht räumen wollte. Der Inspektor schrieb, dass der Veteran unter den Lehrern des Bezirks Arbon sein möglichstes leiste, was aber nicht mehr den Forderungen der Zeit entspreche. In Formenlehre, Geographie, Geschichte habe er zwar den Willen etwas zu tun, aber der Wille allein reicht nicht aus. Von Naturkunde wissen die Schüler nichts, Gesang ist übel. Möglichst schnell, auf kommenden Winter solle ihm ein Adjunkt beigeordnet werden. Der bejahrte Mann musste einen Gehilfen haben, weil er die vielen Schüler – zwischen 80 und 90 – nicht mehr überwachen konnte.
1844 zählte die Schule Neukirch 112 Alltags- und 54 Repetierschüler. Der neue Adjunkt, ein ehemaliger Knecht, war zwar jung, schafft aber keine richtige Ordnung im Schulzimmer; es herrschte ein lärmiges Durcheinander, und viele Schüler schwänzten. Altlehrer Kreis mischte sich dauernd ein und behandelte den Adjunkten wie einen Untergebenen, was die Schüler natürlich spürten und gehörig ausnützten.
Auf Weber folgte ein Schmid, der den Unterricht bedeutend verbesserte, später auch fest angestellt und bald mit einem lobenswerten Inspektorenbericht belohnt wurde. Kreis zahlte ihm weiter den Lohn und zog sich zurück. Er starb im Jahre 1859 im Alter von 86 Jahren. Er hatte ein arbeitsreiches Leben hinter sich, beginnend mit den Stürmen der Revolution und dem Neuaufbau des Kantons Thurgau. Er hinterliess ein sehr beachtliches Vermögen und sein Testament enthielt einen mehrseitigen Schuldenrodel, der aufwies, dass er nebst all seinen „Berufen“ sogar als Privatbankier gewirkt hatte, indem er vielen Leuten Kredite gewährt hatte, die er akribisch aufgelistet hatte. Von seinen Kindern ist vor allem Johann Georg bekannt, der die Stelle als Pfarrer in Steckborn übernahm.
Bilder / Fotos
Literatur
Rolf Blust, Gristen Biographie Abraham Kreis von Rolf Blust 2021
Egon Bruderer: Das Egnach und seine Bewohner: Geschichte der Schulkreise, Bd. 1
Protokolle Primarschule Neukirch Band PSN-009 1833-1872
Johann Georg Kreis: Predigen - oh, Lust und Freude
Protokolle Primarschule Neukirch
Kirchenarchiv Neukirch: Geburtsregister
Kirchenarchiv Neukirch: Erinnerungen an Dekan G.Kreis